Die grenzüberschreitenden Flüsse Vechte und Dinkel bilden seit Jahrhunderten ein verbindendes Element zwischen den Niederlanden und Deutschland. Die Flüsse ignorieren nationale Grenzen und schlängeln sich manchmal über sie hinweg. Eine Zusammenarbeit bezüglich verschiedener Themen wie Hochwasserschutz, Erholung, Natur und regionale Wirtschaft ist daher unumgänglich. Im Rahmen des INTERREG-Projekts „LIVING Vechte-Dinkel“ wird seit 2017 an konkreten Maßnahmen gearbeitet, die das Wassermanagement klimaresistent machen und die touristische Nutzung des Vechte-Dinkelgebietes stärken. Die EUREGIO traf sich mit dem Projektleiter Piet van Erp von der Waterschap Vechtstromen, um mehr über die Maßnahmen zu erfahren, die im Rahmen des Projekts durchgeführt wurden.
EUREGIO: Warum sind die Flüsse Vechte und Dinkel für die Bewohner und die Geschäftswelt dieser Region so wichtig?
Piet van Erp: Die Dinkel und die Vechte leiten viel Wasser ab und haben eine wichtige Funktion bei der Entwässerung des gesamten Flussgebiets sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland. Darüber hinaus waren die Dinkel und in geringerem Maße auch die Vechte in der Vergangenheit für die Fruchtbarkeit des Bodens wichtig. Wenn die Dinkel über die Ufer trat, setzte sie Schlick ab. Dieser Schlick bildete einen fruchtbaren Boden, der für die Landwirtschaft sehr wichtig war. Die Dinkel ist noch sehr naturbelassen, von Menschenhand wurde wenig verändert. Deswegen gibt es hier noch eine sehr seltene Flora und Fauna. Weil die Dinkel noch so naturbelassen ist, kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen. Neben dem Schlamm für die Landwirte ergeben sich daraus Abtragungen der Ufer und Sandablagerungen. Für die in anderen Gebieten kaum noch vorkommenden Eisvögel beispielsweise sind diese Uferabtragungen und Sandablagerungen wichtig für den Nestbau und damit für das Fortbestehen der Vögel. Aufgrund der schönen Natur und der naturnahen Landwirtschaft sind sowohl das Dinkel- als auch das Vechtetal für Touristen attraktiv, was wiederum der Wirtschaft zugutekommt. Die Vechte und die Dinkel liegen im Vechte- und Dinkeltal; das ist für die Bewohner wichtig, weil sie sich damit gerne identifizieren. Produkte aus dem Dinkel- und Vechtetal verkaufen sich gut, wenn sie das Label „Dinkeltal“ oder „Vechtetal“ tragen.
EUREGIO: Auf der Website der Waterschap Vechtstromen ist zu lesen, dass 80 % unseres Gebietes im Besitz von Privatpersonen, Grundbesitzern und Unternehmen sind. Aus diesem Grunde würde der Klimawandel gemeinsame Anstrengungen von mehreren Parteien erfordern. Wie gehen Sie damit im Projekt „LIVING Vechte-Dinkel“ um? Gibt es dafür genügend Unterstützung beiderseits der Grenze?
Präsentation Piet van Erp ©INTERREG Deutschland-Nederland
Piet van Erp: Die Waterschap Vechtstromen beschäftigt sich intensiv mit Klimawandel und Klimabewusstsein. In England wird das Bewusstsein für Wasser in positiver Weise gefördert, z. B. durch die Veranstaltung von Wasserfestivals entlang eines Flusses, bei denen Aktivitäten im und am Wasser organisiert werden. Dadurch wird dem Wasser in der Bevölkerung mehr Beachtung geschenkt, wodurch seine Bedeutung sichtbarer wird. Dies ermutigt Grundbesitzer, aber auch lokale Behörden, Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes zu ergreifen. Die Überschwemmungen in Limburg haben eine ähnliche Wirkung. Die Menschen haben Angst vor Überschwemmungen und erkennen erst nach schweren Überschwemmungen, dass etwas für das Klima getan werden muss. Behörden und Beamte sind im Allgemeinen leicht zu erreichen, aber die Bürger zu erreichen, erfordert mehr Aufwand. Vielleicht können Wasserfestivals dazu beitragen.
Projektmeeting ©Living Vecht-Dinkel
EUREGIO: Das Projekt „LIVING Vecht-Dinkel“ baut u.a. auf den Zielen der Vechte-Vision auf, in der auch der Tourismus eine wichtige Rolle spielt. Dies zeigt sich auch in touristischen Aktivitäten wie der Radfahrroute und dem „elften Turm“, die im Rahmen des Projekts durchgeführt wurden. Warum gehört der Tourismus zu den Zielen der Vechte-Vision?
Piet van Erp: Die Vechte ist mehr als nur Wasser. Sie spielt in den Niederlanden und in Deutschland eine wichtige Rolle für die Naherholung, nicht zuletzt wegen ihrer einzigartigen Natur mit vielen seltenen Pflanzen. Darüber hinaus haben sich entlang der Vechte zahlreiche Campingplätze angesiedelt. In Ommen gibt es sogar einen Campingplatz, der als großes Wasserparadies gilt, wo man in der Vechte baden und Wasserspiele machen kann. Deshalb machen viele Menschen im Sommer Urlaub in Orten wie Ommen, die dann das Gebiet erkunden und in den örtlichen Geschäften und Restaurants Geld ausgeben oder Bootsfahrten auf der Vechte machen. Es gibt auch zwei „Vechtezompen“ (in Gramsbergen und in Laar), die von den Niederlanden nach Deutschland und umgekehrt fahren.
EUREGIO: Wir haben zunehmend mit Wetterextremen zu kämpfen, wie z. B. mit extremen Niederschlägen. Wie wird der Umgang mit Hochwassersituationen geübt und wie gehen Sie grenzüberschreitend damit um?
Piet van Erp: Es gibt ein Hochwasservorhersagemodell, das die Höhe des Wasserspiegels berechnet. Das Modell sammelt Daten wie Wasserstände und berücksichtigt Wettervorhersagen. Wenn das Modell erkennt, dass in einem bestimmten Gebiet, in dem der Wasserstand bereits hoch ist, viel Regen fallen wird, kann man reagieren. Wenn das Modell vorhersagt, dass ein Gebiet überschwemmt wird, kann man zum Beispiel das Oberflächenwasser schon vorher abpumpen oder ableiten, damit die Gräben mehr Wasser aufnehmen können. Deutschland und die Niederlande haben derzeit jeweils ein anderes Modell. Die Daten werden zwar bereits geteilt, aber die Modelle arbeiten unabhängig voneinander. Derzeit wird daran gearbeitet, ein einheitliches Modell zu erstellen, aber das nimmt viel Zeit in Anspruch. Im Rahmen des Projekts „LIVING Vechte-Dinkel“ wird viel Wert auf ein gutes Zusammenspiel zwischen dem niederländischen (Fews) und dem deutschen (Pantharei) Hochwasservorhersagemodell gelegt.
EUREGIO: Worin besteht Ihrer Meinung nach der konkrete Mehrwert einer deutsch-niederländischen Zusammenarbeit? Wie macht sich das bei Ihrer Arbeit bemerkbar?
Piet van Erp: Für die Waterschap Vechtstromen ist die deutsch-niederländische Zusammenarbeit äußerst wichtig, da die Flüsse grenzüberschreitend sind und wir daher auch auf Kenntnisse und Informationen über die Wassermenge und -qualität aus Deutschland angewiesen sind. Wir haben eine Menge von Überwachungsdaten, die wir untereinander austauschen. „Unbekannt macht unbeachtet“ und das wollen wir vermeiden. Dank Projekten wie diesem lernen wir uns immer besser kennen und können auch aufeinander Rücksicht nehmen. Niederländer sind manchmal direkter und Deutsche zurückhaltender, aber man lernt damit umzugehen; das ist allerdings auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.
EUREGIO: Wie sieht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Wasserbereich in Zukunft aus? Mit welchen Parteien/Sektoren würden Sie zum Beispiel auch noch gerne zusammenarbeiten?
Piet van Erp: Wir arbeiten derzeit mit der Waterschap Rijn en IJssel und den drei deutschen Kreisen Steinfurt, Bentheim und Borken zusammen. Zu Beginn des Projekts haben wir uns auch mit den Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Naturschutzverbänden befasst. Wir haben uns dann entschieden, uns nur auf das Thema Wasser zu fokussieren, damit wir uns ganz auf die Wasserwirtschaft konzentrieren können. Allerdings könnten wir für die Zukunft in Erwägung ziehen, das übergeordnete Thema „Natur“ mit einzubeziehen. Wir wollen vermeiden, dass wir uns einander nur zusehen. Wir müssen sozusagen selbst „Fußball“ spielen (d.h. Aktionen durchführen) und nicht auf der „Tribüne“ sitzen.
Eröffnung des „elften Turms“ ©Living Vecht-Dinkel
EUREGIO: Die Dinkel zwischen Losser und Gronaus hat einen natürlicheren Lauf bekommen und ist besser für Hochwasserperioden gerüstet. Welche Maßnahmen sind erforderlich, um die Entwicklung des Flusses zu unterstützen? Und wie weit sind Sie bisher gekommen?
Piet van Erp: Wir möchten das Projekt bis Ende des Jahres abschließen und sind bisher schon weit gekommen. Durch verschiedene Renaturierungsmaßnahmen ist es gelungen, der Dinkel einen natürlicheren Flusslauf zu geben. Langfristig wird der Fluss dadurch wieder natürlich, denn in der Vergangenheit war die Dinkel, zum Schutz der Stadt Gronau vor Hochwasser, mit Betonplatten sehr eingezäunt. Durch die Renaturierung wird die Ableitung des Wassers bei starken Regenfällen vereinfacht. Die Betonmatten sind inzwischen weitgehend entfernt worden, wodurch mehr natürliche Prozesse stattfinden. Um einen Eindruck von der geleisteten Arbeit zu bekommen, wurde das folgende Video mit Drohnenaufnahmen gedreht: https://www.vechtstromen.nl/buurt/projecten/dinkeldal/dinkel-zuid/updates/dinkel-zuid/dronebeelden-werkzaamheden-dinkel-zuid/
Das INTERREG VA Projekt “LIVING Vecht-Dinkel“ wird von der Europäischen Union finanziert. Außerdem unterstützten das Niedersächsische Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten, das Wirtschaftsministerium des Landes NRW und die Provinz Overijssel das Projekt.