Tankstelle für die Seele – EUREGIO-Kolumne „Grenzglück“

Von Prof. Dr. Gert-Jan Hospers

Weihnachtsmärkte, Tannenbäume wohin man schaut, Geschäfte voller Weihnachtsdekoration – die große Begeisterung der Deutschen für Weihnachten lässt vermuten, sie seien tief religiös. Doch dabei geht es vor allem um Kommerz: Genau wie in den Niederlanden verliert auch in Deutschland die Zahl der bekennenden Christen seit Jahren an Boden. Dennoch ist der christliche Glaube bei Deutschen im Alltag deutlich sichtbarer, auch außerhalb der Weihnachtszeit. Man denke an Süddeutschland, wo es ganz selbstverständlich ist, sich mit „Grüß Gott“ zu begrüßen. Und anders als in den Niederlanden werden Allerheiligen und Mariä Himmelfahrt in einigen Bundesländern als gesetzliche Feiertage begangen. Auch in der Schule ist der Religionsunterricht deutlich präsenter als in den Niederlanden. Typisch deutsch ist zudem die Kirchensteuer: Wer Mitglied einer christlichen Kirche ist, ist automatisch steuerpflichtig; in den Niederlanden hingegen sind die Kirchen vollkommen abhängig von den freiwilligen Spenden ihrer Mitglieder.

Auffällig ist außerdem, wie stark der christliche Glaube das deutsche Straßenbild prägt. Marienstatuen, kleine Kapellen und Wegkreuze – man begegnet ihnen überall. Mit Gottes Segen zu reisen ist an unerwarteten Orten möglich. So findet man entlang der deutschen Autobahnen hier und da Autobahnkirchen: Gotteshäuser, in denen Autofahrer, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, kurz innehalten und beten können. Und an Bahnhöfen bietet die Bahnhofsmission seit jeher Hilfe für Reisende in Not. Es handelt sich um einen diakonischen Dienst, nach dem man in den Niederlanden vergeblich sucht. Auch sollte man sich nicht wundern, wenn in einer deutschen Stadt ein Rettungswagen des Malteser-Hilfsdienstes, der Johanniter oder von Caritas ausrückt – in den Niederlanden spielt Religion im Rettungsdienst keine Rolle.

Ganz anders ist die Situation in den Niederlanden! Eine Kirche nach der anderen schließt und wird zu Wohnraum, zu Wohnraum, Geschäften oder gar Tanzlokalen umgebaut. Kapellen und Kreuze entlang der Straße oder in öffentlichen Gebäuden? Sie werden immer seltener. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? In Deutschland ist das Christentum kulturell und institutionell stärker verankert, während in den Niederlanden die sogenannte Entsäulung möglicherweise dazu geführt hat, dass auch die Sichtbarkeit des Glaubens im öffentlichen Raum drastisch abgenommen hat. Vielleicht sind die Niederländer pragmatischer und neigen weniger zur Spiritualität – man richtet sich lieber auf das Hier und Jetzt als auf das Höhere. Auch der niederländische Individualismus könnte eine Rolle spielen: Glauben ist in Ordnung, soll aber vor allem Privatsache bleiben, etwas, worüber man nicht allzu viel spricht.

Natürlich darf man nicht übertreiben: Die Situation in Bayern ist nicht mit der in Berlin vergleichbar, und auch in den Niederlanden macht es einen Unterschied, ob man in Limburg oder Groningen lebt. Dennoch bleibt es rätselhaft, warum der christliche Glaube in Deutschland deutlich sichtbarer ist. Kein Thema für den Weihnachtsmarkt – wohl aber für eine spirituelle Umgebung. Zum Beispiel in einer Autobahnkirche, über die ich einmal eine schöne Beschreibung gelesen habe: Sie ist eine „Tankstelle für die Seele“.

Aus dem Niederländischen von Christian Happ.

„Windach Maria am Wege Autobahnkirche“. Foto: K. Baas, Quelle: Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International (CC BY-SA 4.0). Änderungen: Format angepasst, Farben verändert, Logos ergänzt.