Von Prof. Dr. Gert-Jan Hospers
Wenn wir an Grenzen denken, denken wir – besonders heute – oft an Barrieren: an Konflikte, Kontrollen und komplexe Verfahren. Kriege um Landstriche, Polizisten, die Autos anhalten und kontrollieren, und bürokratischer Aufwand, wenn man im Ausland arbeiten möchte. Doch Grenzen bieten auch Chancen, so erstaunlich das im ersten Moment auch klingen mag. Denn bedenken Sie: Wo Unterschiede aufeinandertreffen, entsteht Raum für Neues.
Dafür gibt es zahlreiche Beispiele, auch aus dem niederländisch-deutschen Kontext. So treffen etwa niederländisches Design und deutsche Gründlichkeit schon seit Jahren in der Baubranche aufeinander. Architekten und Bauunternehmer arbeiten Hand in Hand und erschaffen so Wohnraum, der das Beste aus zwei Welten vereint. Auch im Gesundheitswesen sehen wir einen grenzüberschreitenden Mehrwert: In manchen Teilen der Region Achterhoek kann es ohne Weiteres vorkommen, dass im Notfall ein deutscher Rettungswagen vorfährt, wenn dieser schneller am Ort des Geschehens sein kann. Praktisch, effizient und vor allem menschlich. Wie ein Rettungshelfer es einmal treffend formulierte: „Wenn sich jemand ans Herz fasst, ist das in den Niederlanden nicht anders als in Deutschland.“
Für ein weiteres Beispiel niederländisch-deutscher Synergie müssen wir 75 Jahre in der Zeit zurückspringen. Wussten Sie, dass der legendäre VW-Bus, auch bekannt als Bulli, eine niederländisch-deutsche Gemeinschaftsproduktion ist? 1947 besuchte der Importeur Ben Pon das Volkswagenwerk in Wolfsburg, um sich über den Import des Käfers auszutauschen. Dort fiel sein Blick auf den Plattenwagen, ein einfaches Transportfahrzeug mit Käfer-Technik unter der Motorhaube. Das Fahrzeug war zwar nicht für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen, brachte Pon jedoch auf eine Idee, da er davon überzeugt war, dass in Europa ein großer Bedarf an Nutzfahrzeugen bestand. Bei einem späteren Besuch in der Fabrik skizzierte er in seinem Notizbuch einen alternativen Entwurf: einen VW-Bus mit der Fahrerkabine vorne und einem geschlossenen Laderaum hinten. Diese Skizze – heute Teil der Sammlung des Rijksmuseum Amsterdam – wurde die Basis für den VW-Transporter aus dem Jahr 1950. Der Bulli wurde zu einer Ikone des Wiederaufbaus, des Unternehmergeists und der Hippiekultur. Eine niederländische Idee, ausgearbeitet in Deutschland – ein Paradebeispiel dafür, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
Innovation entsteht häufig an der Schnittstelle von Unterschieden: Gerade eine abweichende Sichtweise fördert Kreativität. Doch Synergie entsteht nicht von selbst, auch nicht in Grenzregionen. Zusammenarbeit über die Grenze hinweg erfordert Energie, Geduld und Vertrauen. Und produktiv wird Zusammenarbeit nur, wenn man sich begegnet, ein Gefühl füreinander entwickelt und Vertrauen aufbaut. Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl von europäischen Fördertöpfen, die diesen Prozess unterstützen. Wer an einer Grenze lebt, hat eine einzigartige Chance: Der andere ist buchstäblich nur um die Ecke. Es liegt an uns, diese Chance zu ergreifen – nicht mit großen Worten, sondern mit Neugier, Mut und konkreten Ideen, so wie Ben Pon mit seiner Skizze des Bullis. So ist die Grenze nicht das Ende eines Landes, sondern der Beginn von etwas Schönem.
Aus dem Niederländischen von Christian Happ.
