Von Martin Borck
Die Niederlande sind nicht gerade reich an Bodenschätzen. Das Erdgas im Norden des Landes wird wegen der Folgen der Bodensenkungen nicht mehr gefördert. Unter der Erdoberfläche von Twente (wie auch im benachbarten Westmünsterland) existieren Salzvorkommen. Im Südosten des Landes gab es einst Kohleminen. Aber sonst? Vielleicht ist dieser Mangel an Rohstoffen der Grund dafür, dass sich in den Niederlanden eine Schwerindustrie wie in Deutschland nie so richtig entwickelt hat.
Nicht dass es keine Unternehmen mit Weltruf gäbe: Namen, die einem sofort einfallen, sind Shell und Philips. Seit ein paar Jahren zählt der Hightech-Betrieb ASML zur obersten Liga. Ein Beispiel dafür, dass Innovation einen gewaltigen Anteil an der Wertschöpfung in den Niederlanden hat. Kreative Ideen sind der Rohstoff der niederländischen Wirtschaft.
Eine der Innovationsquellen liegt mitten im EUREGIO-Gebiet: die Universität Twente (UT). Das Markenzeichen dieser erst gut 60 Jahre alten, ursprünglich rein Technischen Hochschule ist ihre Nähe zur Wirtschaft. Rektor Harry van den Kroonenberg prägte Ende der 1970er-Jahre das für die damalige Zeit eher untypische Motto „Die unternehmende Universität“. Damit machte er deutlich, dass der Campus kein Elfenbeinturm sein solle. Die Uni suchte aktiv die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Nicht nur das: Uni-Absolventen wurden und werden bei der Gründung von (mittlerweile über 750) Start-ups gefördert. Dazu ist extra eine Stiftung gegründet worden.
Praktische und einfache Lösungen für konkrete Probleme zu finden – darum geht es vielen der jungen Unternehmen. So hat die Firma „4Silence“ Produkte für den Lärmschutz an Straßen und Bahnstrecken erfunden. Sie nutzt dabei die Tatsache, dass sich Schallwellen gegenseitig auslöschen können.
Der unternehmerische Geist an der UT inspirierte zur Gründung von mittlerweile weltweit operierenden Firmen. Wirtschaftsinformatik-Student Jitse Groen zum Beispiel gründete den Online-Essenslieferdienst „Thuisbezorgd.nl“ (in Deutschland „Lieferando“). Und wer hat sich nicht schon mal bei booking.com nach einer Urlaubsunterkunft erkundigt? Auch dieser Anbieter hat seine Wurzeln in Enschede. Gründer Gert-Jan Bruinsma studierte hier Technische Betriebswissenschaft. Und UT-Absolvent Cees Links, der von 1975 bis 1982 in Enschede angewandte Mathematik studiert hatte, entwickelte später die Wifi-Technik, mit der sich Computer und andere Geräte drahtlos verbinden lassen (Stichwort WLAN).
Nicht nur im Großen haben viele Niederländer Innovation im Blut. Es sind oft kleine Dinge, Ideen mit Pfiff, bei denen man sich fragt, warum man nicht selbst darauf gekommen ist: Der Enscheder Bas Timmer gründete zum Beispiel „Sheltersuit“. Die wasser- und winddichte Jacke aus recycelten Materialien lässt sich mit wenigen Handgriffen in einen Schlafsack verwandeln. Für obdachlose Menschen ein Segen.
Ein anderes Beispiel, das ich genial finde: Um achtlos weggeworfenen Müll entlang von Radwegen zu verringern, werden „Blikvangers“ aufgestellt. Das Wort ist doppeldeutig: Einmal bedeutet es Blickfang, dann aber auch „Dosenfänger“: Bei den Blikvangers handelt es sich um Metallringe, durch die Radfahrer während der Fahrt ihre leere Getränkedose oder anderen Abfall werfen können. Der Müll landet in einem hinter dem Ring aufgespannten Netz. Welcher Pedalritter kann einer derartigen sportlichen Herausforderung schon widerstehen? Den angeborenen Spieltrieb des Menschen zur Müllvermeidung einzusetzen – auf solche Ideen muss man erst mal kommen! Das ist es, worin ein kleines Land groß sein kann.

Ein echter „Blikvanger“: Mit spielerischem Erfindergeist gegen Müll entlang der Radwege. © Martin Borck